Tag 16-18

Hitze war für mich immer ein großes Problem, weil ich nicht so schnell schwitze. Dachte ich. Nach zwei Wochen Griechenland kann ich dazu nur sagen: LOL. Um die Mittagszeit schwitze ich schlafend im Schatten. Ich habe keine Ahnung, wie viel Grad es hier hat und es ist auch nicht wirklich wichtig, denn es ist einfach immer heiß. An manchen Tagen ist es sehr heiß und anderen dafür extrem heiß. Aber hauptsächlich von 11 bis 15 Uhr. In dieser Zeit erwartet auch niemand irgendwas von mir und das finde ich sehr angenehm. In Berlin sind es im Sommer ja auch gut und gerne mal 34 Grad und mehr auf dem heißen Asphalt, aber alle tun so, als könnte man dann noch klar genug denken, um E-Mails zu beantworten, Meetings abzuhalten und sich daran zu erinnern, welcher Wochentag ist. Warum gibt es in Deutschland keine Siesta? Wurde der Antrag aufgrund mangelnden Zugangs zum Mittelmeer abgelehnt? Oder ist das wieder Teil der deutschen Leidkultur?


Es ist 6:30 und bisher läuft diese Strandschicht ziemlich entpsannt ab. Ich mag es, die Spuren im Sand zu verfolgen und zu beobachten. Es gibt so viele verschiedene Spuren zu sehen und herauszufinden, was alles so in den letzten Stunden hier passiert ist. Es ist ein Strandabschnitt, den ich sehr gut kenne, was es zuerst ein bisschen langweilig und monoton macht. Aber irgendwie ist der Strand doch immer anders. Und so ein Sonnenaufgang am Meer, wird auch nie langweilig, um ehrlich zu sein. Unsere erste Entdeckung ist leider, dass ein Nest von einer Welle erwischt wurde. Wenn die Eier nass werden, haben sie eine geringere Chance zu schlüpfen. Deswegen re-lokalisieren wir Nester, die zu nah am Wasser gelegt wurden. Es ist nicht unbedingt die Inkompetenz der Schildkröte, die dazu führt, dass Nester an unpassenden Orten sind. Manchmal sind es nicht die Wellen, die für Nässe sorgen, sondern das Hotelperosnal, welches ihre Sandbänke mit dem Gartenschlauch abspritzt, um sie zu säubern. Manchmal finden die Schildkröten aber auch einfach keinen anderen Ort für ihr Nest, weil der Strand schmaler geworden ist. Aufgrund des steigenden Meeresspiegels wird der Strand schmaler und der, der da ist, wird zugebaut. Und was nicht zugebaut wird, wird mit einem Meer aus zu mietenden Liegestühlen und Wassersportgeräten zugestellt. Wenn sich Nester zu nah am an der Wasserkante befinden, dann relokaliseren wir sie, damit sie eine Chance haben. Ich habe das selbst noch nicht miterlebt, es ist auch nicht ganz unkompliziert: Das Nest wird ausgegraben, ausgemessen und an einer geeigneteren Stelle (meistens in der Nähe aber weiter hinten am Strand) nachgebaut. Die Eier werden extrem vorsichtig herausgehoben und in derselben Reihenfolge und Position wieder eingesetzt. Die Reihenfolge ist wichtig, weil die Temperatur darüber entscheidet, welches Geschlecht der Embryo entwickelt. Die Position ist wichtig, weil sich Reptilienembryos (anders als zB Hühner, die man beim brüten drehen muss) nicht so leicht von ihrem Eidotter trennen können und nicht auszuschließen ist, dass der Embryo von ihm erdrückt wird, wenn er unter ihm landet.


Die zweite Entdeckung ist weitaus erfreulicher. Ich laufe an der Wasserkante des Strandes entlang und stoße auf die Spur eines Schlupflings, die im Meer endet. Wo auch immer er herkommt, er hat es ins Wasser geschafft. Ich verfolge den kleinen Trecker-Pfad den Strand hoch und stelle fest: die Spur führt nicht zu einem Nest, sondern zu einem Stock im Sand. Ein Stock, der als Markierung diente, dafür, dass diese Schildkröte eingebuddelt wurde. Sie hat es geschafft! Sie hat ihre zweite Chance genutzt! Das stimmt mich ziemlich positiv. Und dann wird es noch besser. Bei einem Nest finden sich überall drum herum Spuren. Bestimmt 20 Schildkrötenbabys, wenn nicht mehr. Alle führen ins Wasser und es ist auch noch das erste Mal gewesen, dass dieses Nest geschlüpft ist, also ein Geburtstag. Wenn es so viele Spuren sind, dann schreiben wir “Mass to Sea”. Das passiert häufiger beim Geburtstags-Schlupf. Wir überprüfen, notieren, markieren und nur wenige Nester weiter wiederholt sich der Fund: Mass to sea! Auch wenn es keine Erstis sind.


Obwohl die Schicht nach nur drei einhalb Stunden vorbei ist, sind wir alle ganz schön erschöpft und machen eine schattige Pause, bevor wir den Rückweg antreten. Morgen habe ich mal keine Frühschicht, sondern nur Mittags irgendwann eine Bastelstunde und abends eine Ausgrabung (um die ich noch versuchen werde, mich irgendwie zu drücken bzw. mich als Schreiberin zur Verfügung zu stellen, um die Eier nicht öffnen zu müssen). Das passt ganz gut, denn heute kommt mein Freund Tino hier an und dieses Ereignis wird in der einzigen Taverne gefeiert. Das geht deutlich besser, wenn man am nächsten Tag ausschlafen kann.

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Die Lebensqualität steigt. Tino hat nicht nur sich selbst und eine Gitarre, sondern auch eine French Press mitgebracht. Im Camp ist einiges los. Viele Leute sind gekommen, viele gegangen. Ich habe neue Nachbar:innen. Abgesehen von den Eseln vor meinem Zelt, habe ich jetzt auch eine französische Freizeit direkt neben meiner Hängematte. Im ersten Moment war es eine große Umstellung, da ich den Platz neben meinem Zelt abseits vom Camp auch gerne genutzt habe, um mich etwas zurückzuziehen. Es gibt dort einen großen, weißen Tisch und eine klapprige Bierbank dazu. Auch wenn der Tisch immer voller Nadeln ist und die Zikaden im Baum herumschreien, habe ich mir da gerne ein Homeoffice eingerichtet. Nicht zuletzt, weil es auch eine Steckdose am Baum gibt. Würden Bäume W-LAN produzieren, wäre die Stadt voll davon. Leider produzieren sie nur Sauerstoff. Jetzt wird diese Fläche von ca. 35 Franzosen und Französinnen um die 20 bewohnt und die Steckdose ist immer besetzt. Dieser Umstand führt dazu, dass ich mehr Zeit im Camp verbringe, vor allem im “Wohnzimmer” wie ich es nenne. Es sind vier DIY Sofas unter einem Sonnensegel mit einem Holztisch in der Mitte. Hier sitzen vor allem die Teamleiter:innen, die den Schichtplan erstellen oder anderen organisatorischen Tätigkeiten rund um das Projekt nachgehen. Und die Gelegenheitsraucher. Diese Ecke hat sich immer exklusiv angefühlt, ist sie aber nicht. Ich gieße mir ein großes Glas Erdbeersaft (seit wann trink ich denn sowas?) ein und setze mich dazu. Einige reisen demnächst ab, planen ihre Rückreise, tauschen sich darüber aus, was sie als nächstes vorhaben. “Ich hab nur einen Tag Pause nach dem hier, dann beginnt meine Ausbildung", sagt einer der deutschen Teilnehmer, während er mit Schnüren eines der Sofas repariert. “Hab ich aber bewusst so geplant, ich brauch einfach immer was zu tun.” Ja, das sieht man. Ich will noch gar nicht über Berlin nachdenken, dafür ist es noch zu früh.

Ich habe nicht nur neue Nachbarn, sondern es gibt auch jemand Neues im Camp: Eine kleine, schwarze Babykatze. Alle wollen sie sofort aufnehmen, füttern und ihr Namen geben, da muss die Campleitung eingreifen: So eine Straßenkatze im Camp zu haben, ist ein Hygienerisiko. Das wurde uns auch bei der Camp-Einweisung schon gesagt. Es gibt in Griechenland ziemlich viele Straßenkatzen, so auch hier auf Kreta. Sie sind überall und sehr zutraulich. Das Kätzchen ist allen schnell ans Herz gewachsen und so werden Katzenregeln aufgestellt (z.B. dass sie nur mit Katzenfutter gefüttert werden darf und nur außerhalb des Camps). Ich finde das Kätzchen auch sehr süß! Ich finde aber auch Sauberkeit, da wo ich wohne, noch viel süßer und bin dankbar, dass jemand sich rechtzeitig den Spielverderber-Schuh anzieht.


Ich habe meine Ausgrabung ausgetauscht. Anscheinend bin ich eine der wenigen, die lieber alles andere macht, als das. Ich bin also ins Einkaufs-Team gewechselt und mache einen Wocheneinkauf bei LIDL für 40 Leute. Den Supermarkt zu betreten, ist surreal. Einerseits weil es kurz genau so aussieht wie der LIDL in Berlin Zehlendorf und zum anderen weil es gefühlte 10 Grad weniger hier drin sind. Einkaufen macht Spaß. Es gibt eine Einkaufsliste mit Basics, die immer da sein müssen und eine Liste mit Einkaufswünschen, die jede:r äußern kann, die wir besorgen, wenn noch Geld übrig ist. Bei jeder Sache, die im Einkaufskorb landet, muss der Preis notiert werden. Ich öffne ein EXCEL-Dokument und schreibe mit: 1,49, 2,69, 1,45 x 5 und so weiter. Schon lustig, was so die Basics sind, die immer da sein müssen. Kekse! Kekse! Müsliriesgel! Schokomüsli! Kekse! Aber auch viel frisches Obst und Gemüse. Es braucht eben viele Snacks, die Leute sich bequem mitnehmen können, die im besten Fall eine Weile halten, trotz der Temperaturen, die hier herrschen (der Platz im Kühlschrank ist ja schließlich auch begrenzt). Also Kekse! Keske! Danach habe ich ein großes Bedürfnis, mir einen Obstsalat mit Joghurt im Camp zu machen. Damit setze ich mich dann ins Wohnzimmer. "Lisa, wär's okay für dich zwei Mal an einem Tag in das Deutsche Hotel zu gehen? Morgens und Abends?”, fragt mich die Biologielehrerin, die gerade am Schichtplan für nächste Woche sitzt. Hm, ich bin ja für die Schildkröten hier, aber bei den Hotelschichten gibts immer richtig gutes Essen. “Für dich mach ich alles.”

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Heute früh habe ich einen Strandspaziergang (bei dem wir Tourist:innen am Strand unsere Arbeit zeigen und aufklären). Mein Kollege ist aber unauffindbar. Fünf Minuten bevor ich dachte, dass  wir losgehen sollen, wecke ich ihn aus seiner Hängematte. Wie auf Autopilot fängt er an, alles zusammenzutragen. „Müssen wir nicht langsam mal los?“ frage ich 15min später. Aber er winkt ab. „Wir haben Zeit! Die anderen sind immer viel zu früh da. Vertraust du mir?“  „Nein. Ich hab dich gerade aus deiner Hängematte geholt.“ Wir lachen beide, obwohl eigentlich niemand einen Witz gemacht hat. Er ist schon sechs Wochen hier und bleibt einen weiteren Monat. Praktikum. Er hat, glaube ich, nicht so viel Lust auf das alles. Für die Gruppe sollen wir ein „Falsches Nest“ vorbereiten, dafür zieht man auf dem Boden sitzend mit seinen Füßen Spuren durch den Sand. „Weißt du, wie das geht?“ fragt er, in einem Ton, der deutlich macht, dass er es weiß. Ich verneine, obwohl ich es eigentlich weiß, aber ich finde es lustiger, wenn er das jetzt machen muss. Dann treffen wir auf unsere Gruppe, ziemlich viele Leute heute. Er ist eingeteilt, den Redeanteil zu übernehmen, ich bin nur unterstützend dabei bzw. soll ich das dann nächste Woche selbst machen.

Er stellt sich selbstbewusst vor die Gruppe und legt mit seiner Ansprache los. Und er ist überraschend gut. Er wirkt souverän und charmant und als hätte man ihm einen Schalter umgelegt. Er liebt das Publikum. Hält die Gruppe gut zusammen. Ich ergänze hier und da und wir entpuppen uns als gutes Team. Die Leute stellen viele Rückfragen. Wir haben immer eine Antwort und er hat dann noch eine lustige Anekdote hinterher. Ich schüttele ungläubig den Kopf, als wir eine gute Stunde später die Schicht beenden, er alles sorgsam wegräumt und wieder direkt zurück zu seiner Hängematte geht.


Ich habe mir den restlichen Tag freigekommen weil Tino gerade erst kam und Anna morgen fährt und es ist der letzte Tag, an dem wir alle da sind. Wir mieten uns ein Auto und fahren erstmal zum Kourna See. Es ist ziemlich voll, weil es hier ziemlich schön ist. Mal was anderes sehen. Süßwasser zur Abwechslung. Sich mal in unbekannte Gewässer wagen. Der See ist Badewannen-warm und das Wasser ganz türkis. Ich schwimme um Tretboote herum, die wie Schwäne aussehen oder auf denen Rutschen angebracht sind. Durch das klare Wasser, sehe ich an mir herunter. Mein verschwommener roter Bikini im türkisfarbenen Wasser, ein Bild wie im Reisekatalog.

Dann geht es weiter zum Palm Forest und damit zum ersten Mal in den Süden der Insel. Eigentlich wollten wir noch zu einem Wasserfall aber den haben wir übersprungen, als wir uns ein paar Mal verfahren haben und dann bemerkten, wie hungrig wir alle sind. Wir gaben also bei Maps einfach „Essen“ ein und fuhren 10 min zur nächsten Taverne. Die Aussicht erinnerte an eine Fototapete. So schön. Das einzige, was fehlt, ist grün. Wir bestellen alles. Der ganze Tisch ist voll: Suppe, Salate, Pommes, gefüllte Weinblätter, Oliven, frittierter Käse, Brot und zum Nachtisch noch Joghurt mit Honig. So gut gestärkt ging es dann zum Palmenstrand. Palm Beach. Der Weg nach unten ist heiß und mühsam und es kommen mir viele keuchende Gesichter entgegen. Der Palmenstrand ist es aber auf jeden Fall wert! Die Bucht ist atemberaubend schön. Eine einzige Film Kulisse! Das Klientel ist jünger als bei uns. Vermutlich aufgrund des anstrengenden Abstieg. Oder weil das hier alles so Instagramable ist. Vor jeder Kulisse wird posiert und dabei versucht, die restlichen Leute aus dem Bild zu schneiden.

Erstmal abkühlen. Mass to Sea. Das Meer ist etwas kühler auf dieser Seite der Insel. Ich muss schwimmen, sonst wird mir kalt, das bin ich ja gar nicht gewöhnt. Ich lege mich danach zum Trocknen auf den sehr warmen Sand, der auch noch lange warm bleibt, nachdem die Sonne hinter den Bergen untergegangen ist. Angenehm, so ein Schattenplatz mit kühler Brise die über mich hinwegziegt aber der heiße Sand, der mich von unten wärmt. Ich habe mich so an den Rhythmus aus Mittagsschlaf gewöhnt, dass ich auch jetzt einfach einschlafe, und deswegen kaum Zeit habe, den wunderschönen Palmenwald hinter dem Strand zu durchstreifen. Vielleicht komme ich ja wieder.

Zum Abend hin werfe ich noch einen Blick auf den Plan für nächste Woche, der gerade veröffentlicht wurde. Übermorgen hab ich wieder eine Base Camp Schicht und schaue in die anderen Zeilen, um zu sehen, mit wem. Es sind zwei Leute, mit denen ich mich gut verstehe und die Katze. Die Katze? Jemand hat sich einen Spaß erlaubt und die Katze in den Schichtplan eingetragen. Sie hat ziemlich viel Freizeit, neben Aufgaben wie Spielen, Kuscheln, Nickerchen, Meow oder Mit-Stock-Spielen. Und dazwischen dann auch mal Zäune-Reparieren oder Base Camp aufräumen. Genau mein Humor.
















Viele Viele Schildkrötenspuren



verschiedene Spuren: Hund, Katze, Vogel

Instagramable Beautyshot an meinem freien Tag