01.07.24 Niedersachen
Ich habe mir eine Kühlweste gekauft. Die Idee kam mir bei einem Fachtag zur Katastrophenvorsorge des Deutschen Roten Kreuz, den ich als Poetin begleitete. Diese Tätigkeit, bei der ich eine Veranstaltungen beobachte und die Vorträge sowie das ganze Drumherum auf poetisch-humorvolle Art und Weise zusammenfasse, um es noch am selben Abend vor versammeltem Publikum vorzutragen, wird Poetic Recording genannt und ich mache das in letzter Zeit häufiger. Mein Talent hierfür entdeckte ich vor einem Jahr und was am meisten Spaß macht, ist der absurd tiefe, fachliche Einblick in mir völlig fremde Bereiche. Dabei ist jeder Fachtag auch Klassentreffen und jede Jubiläumsfeier auch eine Konferenz und am Ende ist alles, wirklich alles ein Netzwerktreffen. Und auch wenn die Inhalte sich unterscheiden, oft dreht es sich um dieselben Kernthemen. Egal ob Software Firma oder Jugendamt -irgendwann fallen immer die Buzz Words: Kommunikation, Digitalisierung und Generationskonflikt. Häufig mit großen Fragezeichen, guten Ideen und viel Frust. Meistens wenn über Faxgeräte gesprochen wird. Fast alle Unternehmen und alle Behörden in Deutschland besitzen und benutzen ein Faxgerät. Das Faxgerät ist die problembeschreibende Zusammenfassung der Buzzwords Kommunikation, Digitalisierung und Generationskonflikt. Während ich also im Tagungswerk Berlin mit meinem Laptop noch hinter der letzten Reihe saß und neben dem gelangweilten Techniker versuchte, einen guten Reim auf Kommunikation (Mohn, Hohn, Sohn, schon? Kommunikation - Wo du mich ja schon… ja und dann?) zu finden, hielt auf der Bühne die Hitzeschutzbeauftragte, eines Berliner Krankenhauses, einen schmissigen Vortrag über Kühlkleidung. Kühlkleidung wird durch Wasser aktiviert und bleibt dann je nach Umstand bis zu 20 Stunden kühl, dank einer bestimmten Technologie. Weil ich keine Ahnung habe, stelle ich mir diese Technologie vor, wie diese Plastik-Wärme-Herzen, bei denen man ein kleines silber Plättchen knickt, woraufhin sich eine warme, weiße, zähe Masse dramatisch ausbreitet. Die Masse wird dann irgendwann hart, bis man sie wieder in heißes Wasser legt, was aber niemand je tut. Ich beschließe mir also eine Kühlweste für Kreta zu kaufen -ich bin ja schließlich nicht im Urlaub, sondern im Einsatz und da braucht es eine anständige Ausrüstung. Um das beste Preis-Leistungs-Verhältnis-Produkt zu bekommen, tauche ich in die Welt der Kühlweste-Foren ab, bei der sich mir ein breites Spektrum ihrer Nutzung auftut: Von Radsport-Fans, die ihre Leistungsfähigkeit im Hochsommer optimieren wollen, bis zu schwer erkrankten Menschen, für die Hitze belastend bis lebensbedrohlich sein kann. Ich will nicht sagen, ich befände mich in meinem Anliegen dazwischen, aber ich habe nahezu keine natürliche Veranlagung zu schwitzen, was bei großer Hitze schon ein großes Problem darstellen kann, da sich mein Körper bisher auch keine alternative Kühlfunktion überlegt hat. Für gewöhnlich wird mein Kopf einfach besorgniserregend rot und ich werde sehr langsam. Also muss ich andere Maßnahmen ergreifen: Fächer, Wasserzerstäuber, Kühlweste. Über die Anschaffung eines Trinkrucksacks habe ich auch nachgedacht, mich jedoch dagegen entschieden. Die Kühlweste erreicht mich im Jahrmarkttheater und wird sofort ausprobiert. Sie ist Signalgelb, was mir beim Tragen eher den Anschein verleiht, ich würde Sozialstunden abarbeiten, als dass sie das Abenteuer-Image unterstützt, das ich eigentlich anstrebe. Immerhin kann ich die Weste von der Steuer absetzen. Dieser Gedanke motivierte mich dann direkt zum Kauf eines LIDL online Schnäppchens und ich bin jetzt stolze Besitzerin eines Kuppelzelts »Nevada 3« mit Vorzelt und 1,24 m2 Wohnfläche.
Ich habe mich mittlerweile deutlich besser über das Projekt, die Organisation und das Leben vor Ort informiert. Beim Durchblättern des Infomaterials überkamen mich große Zweifel, ob ich nicht doch ein Airbnb mit Cocktail-Flatrate hätte buchen sollen. Oder einfach zu meinem Vater aufs Brandenburger Land gehen oder den Sommer in Berlin genießen. Freund:innen besuchen, für die ich zu wenig Zeit habe, Bücher lesen, die in meinem Regal auf mich warten, kochen, was ich schon immer mal kochen wollte oder oder oder. Aber ich weiß, wenn ich nicht wegfahre, dann nehme ich einfach immer weiter Aufträge an und arbeite und selbst wenn ich wegfahre und dort nichts zu tun habe, arbeite ich von woauchimmer aus weiter. Und ich arbeite auch gerne, aber ich muss einfach etwas anderes tun, sonst fange ich an, meine schöne Arbeit zu hassen. Und meine schöne Wohnung und den Sommer in Berlin und das Haus meines Vaters in Brandenburg und wem will ich vormachen, dass ich dann anfangen würde zu kochen? Ich würde anfangen das Zugfahren durch Deutschland zu hassen, die Hotelfrühstücks, die Sofas im Backstage, die Gespräche im Backstage, die belegten Brötchen im Backstage, meine Zettel, meine Intros und meine überprobte Authentizität.
So wie ich irgendwann im vierten Semester an der Regieschule anfing, die Proben zu hassen. Die Konzeptgespräche, den Geruch von Molton und Tanzteppich, die nie funktionierenden Beamer und Musikanlagen und die immer müden Schauspielstudierenden. Jeden Morgen gab ich meine große Liebe und Leidenschaft für das Theater bei Rüdiger, dem schwatzhaften Pförtner ab und erhielt dafür einen Schlüssel zum Proberaum. Dort würde ich dann zwischen müder Technik und nicht funktionierenden Schauspieler:innen darüber nachdenken, ob ich gerade versuche die Welt zu retten oder mich einfach nur nicht zu blamieren und was mein Plan B ist sollte beides scheitern. Aber eine wahre Künstlerin hat keinen Plan B, würde ich mir dann innerlich vorwurfsvoll zurufen. Eine wahre Künstlerin brennt für ihre Kunst und wenn sie dabei ausbrennt. Scheitern hat im Künstlerinnendasein keine Existenzberechtigung, außer als Rückblick in Oscar-Reden. Es war eine Kombination aus Perspektivwechsel durch Poetry Slam und die Corona-Zwangsreflektion, die mich daran erinnerte, dass ich mich im Theater wohl fühle. Dass alles Inszenierung ist und wie spannend das ist. Alles ist Geschichtenerzählen. Alles ist fantastisch. Ich merkte direkt und sehr klar, dass ich die Gelegenheit des Lockdowns nicht nutzen wollte, um zu einem systemrelevanten Beruf umzuschulen. Dass ich eigentlich glücklich war, wo ich war. Auf der Bühne, vor der Bühne, hinter der Bühne, mittlerweile schreibend für die Bühne. Und damit das so bleibt, mache ich jetzt diese Schildkrötensache.
Sebastian hat mir mittlerweile, leicht belustigt, auf meine Hey-lange-nicht-gesehen-rate-mal-wo-ich-mich-angemeldet-hab-Nachricht geantwortet (Hahaha das ist ja super! Haha) und schickt mir liebe Grüße aus Australien, wo er aktuell arbeitet.
︎︎︎
26.07.24 Berlin
Noch ein paar Tage bis zum Abflug. Die Proben sind durch und damit das letzte große Projekt vor Kreta. Die Premiere war ein voller Erfolg, Bostelwiebeck war begeistert, aber der Endprobenstress saß mir noch einige Tage in den Knochen. In anderen Ländern werden Endproben auch Bloody Rehearsals also Blutige Proben genannt: Der Druck steigt, alle werden nervös, irgendwas geht immer schief. Und sei es nur, dass ein dringend benötigter Adapter nicht ankommt oder ein Requisit oder ein paar Schuhe. Manchmal wird jemand plötzlich krank oder verletzt sich, immer zweifelt irgendjemand am künstlerischen Wert der Inszenierung oder an sich selbst und fürchtet sich vor den Kritiken. Manchmal machen die geringen Vorverkaufszahlen schlechte Laune. Bei Open-Air-Theater können auch schwierige Wetterverhältnisse dazu kommen, da im Regen nicht einfach weitergespielt werden kann. Wenn ich eins im Theater gelernt habe: Immer ist irgendwas und man fährt gut damit, sich von vornherein darauf einzustellen. Ich wurde schon während meines Regie-Studiums für meine besonnene Art in Endproben gelobt, vor allem von Schauspieler:innen. Denn es gibt in der Regie leider immernoch viel zu viele cholerische Arschlöcher, die ihre Macht ausnutzen, um andere Leute fertig zu machen. Der Umgangston ist da manchmal schlimmer als in der Sterneküche. Und auch wenn es keine katastrophalen Umstände sind, auch wenn sich die Leute während der Proben nicht anschreien und beleidigen, so leiden viele unter dem Gefühl von mangelnder Wertschätzung und fehlender künstlerischer Entfaltung. Ein allgemeiner Umstand, dem ich mit meiner Arbeit als Regisseurin versuche, irgendwie entgegen zu wirken. Ich denke an die vielen Gründe am Theater zu arbeiten. Ich denke viele landen am Theater, weil sie dort zum ersten Mal die Erfahrung machen, dass sie anders sein dürfen. Weil sie für ihre Fantasie bewundert und nicht ausgelacht werden. Weil sie sich gerne mit skurrilen Dingen und schrulligen Menschen umgeben. Weil sie dort tiefe Freundschaften schließen. Weil sie zusammen an etwas glauben. Ich denke, andere landen am Theater weil sie größenwahnsinnig sind, emotionale Grenzerfahrungen machen wollen oder praktischerweise mit jemand verwandt/verschwägert sind, der sie relativ leicht an eine gute Position bringen kann und dann bleiben sie halt da. Letztere werden meistens Regisseure und in Endproben unausstehlich. Ich hingegen verfüge da über einen ganz guten gewaltfreien Krisenmodus (behaupte ich jetzt einfach mal) in dem ich, auch bei steigender Anspannung eine radikale Konstruktivität einschalten und einfordern kann. Das kostet allerdings auch viel Kraft und das spüre ich auch jetzt noch, da ich wieder zurück in meiner Berliner Wohnung sitze und mit meiner besten Freundin und Mitbewohnerin Kaffee trinke.
“Nach einer Premiere müsste man sich doch auch mindestens eine Woche frei nehmen, um wieder klarzukommen", sagt sie. Auch wenn sie Recht hat, sieht es in der Realität leider ganz anders aus. Seit ein paar Jahren haben Schausieler:innen (und meines Wissens nach nur die) am Theater ein Recht auf einen (und nur einen) freien Tag nach der Premiere. Festangestellte Schauspieler:innen an einem staatlich subventionierten Theater. Als selbstständige Künstlerin in der freien Szene kann und muss man sich selbst organisieren und die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeitslosigkeit sind mehr als fließend. Ich habe diesmal Glück. Für mich liegen zwischen der Premiere und meinem Abflug 10 Tage. In diesen 10 Tagen habe ich nicht viel zu tun, außer einem kleinen Dreh, Home-Office-Kram und einem größeren Auftritt in Hamburg bei der Pride Night, auf den ich mich sehr freue. Dazu kommt selbst gewählter Freizeitstress, wie zum Beispiel eine Schnitzeljagd durch Zehlendorf für meine kleine Schwester zum Geburtstag. Und packen. Und einkaufen. Und weil es mir zwischendurch zu viel wird, beginne ich, die Dinge einfach sehr, sehr langsam anzugehen. Ich wandele so von einer Aufgabe in die nächste, zwischendruch schau ich aus Fenstern. Mein Zimmer, die U-Bahn, der Kumpir-Laden meines Vertrauens. Das morgentliche Kaffeetrinken wird ewig in die Länge gezogen. Für die Strecke von Decathlon (wo ich mir noch eine Stirnlampe kaufen muss) zu mir nach Hause, radle ich doppelt so lang durch den Wedding wie normalerweise. Zwischen der einen und der anderen E-Mail wird ausgiebig der Hund gestreichelt und drei Mal vergessen, was ich machen wollte. Von Vorfreude ist da wenig zu spüren, vielleicht mehr die Ruhe vor dem Sturm. Vielleicht verwandle ich mich langsam selber in eine Schildkröte.
Ich habe mir eine Kühlweste gekauft. Die Idee kam mir bei einem Fachtag zur Katastrophenvorsorge des Deutschen Roten Kreuz, den ich als Poetin begleitete. Diese Tätigkeit, bei der ich eine Veranstaltungen beobachte und die Vorträge sowie das ganze Drumherum auf poetisch-humorvolle Art und Weise zusammenfasse, um es noch am selben Abend vor versammeltem Publikum vorzutragen, wird Poetic Recording genannt und ich mache das in letzter Zeit häufiger. Mein Talent hierfür entdeckte ich vor einem Jahr und was am meisten Spaß macht, ist der absurd tiefe, fachliche Einblick in mir völlig fremde Bereiche. Dabei ist jeder Fachtag auch Klassentreffen und jede Jubiläumsfeier auch eine Konferenz und am Ende ist alles, wirklich alles ein Netzwerktreffen. Und auch wenn die Inhalte sich unterscheiden, oft dreht es sich um dieselben Kernthemen. Egal ob Software Firma oder Jugendamt -irgendwann fallen immer die Buzz Words: Kommunikation, Digitalisierung und Generationskonflikt. Häufig mit großen Fragezeichen, guten Ideen und viel Frust. Meistens wenn über Faxgeräte gesprochen wird. Fast alle Unternehmen und alle Behörden in Deutschland besitzen und benutzen ein Faxgerät. Das Faxgerät ist die problembeschreibende Zusammenfassung der Buzzwords Kommunikation, Digitalisierung und Generationskonflikt. Während ich also im Tagungswerk Berlin mit meinem Laptop noch hinter der letzten Reihe saß und neben dem gelangweilten Techniker versuchte, einen guten Reim auf Kommunikation (Mohn, Hohn, Sohn, schon? Kommunikation - Wo du mich ja schon… ja und dann?) zu finden, hielt auf der Bühne die Hitzeschutzbeauftragte, eines Berliner Krankenhauses, einen schmissigen Vortrag über Kühlkleidung. Kühlkleidung wird durch Wasser aktiviert und bleibt dann je nach Umstand bis zu 20 Stunden kühl, dank einer bestimmten Technologie. Weil ich keine Ahnung habe, stelle ich mir diese Technologie vor, wie diese Plastik-Wärme-Herzen, bei denen man ein kleines silber Plättchen knickt, woraufhin sich eine warme, weiße, zähe Masse dramatisch ausbreitet. Die Masse wird dann irgendwann hart, bis man sie wieder in heißes Wasser legt, was aber niemand je tut. Ich beschließe mir also eine Kühlweste für Kreta zu kaufen -ich bin ja schließlich nicht im Urlaub, sondern im Einsatz und da braucht es eine anständige Ausrüstung. Um das beste Preis-Leistungs-Verhältnis-Produkt zu bekommen, tauche ich in die Welt der Kühlweste-Foren ab, bei der sich mir ein breites Spektrum ihrer Nutzung auftut: Von Radsport-Fans, die ihre Leistungsfähigkeit im Hochsommer optimieren wollen, bis zu schwer erkrankten Menschen, für die Hitze belastend bis lebensbedrohlich sein kann. Ich will nicht sagen, ich befände mich in meinem Anliegen dazwischen, aber ich habe nahezu keine natürliche Veranlagung zu schwitzen, was bei großer Hitze schon ein großes Problem darstellen kann, da sich mein Körper bisher auch keine alternative Kühlfunktion überlegt hat. Für gewöhnlich wird mein Kopf einfach besorgniserregend rot und ich werde sehr langsam. Also muss ich andere Maßnahmen ergreifen: Fächer, Wasserzerstäuber, Kühlweste. Über die Anschaffung eines Trinkrucksacks habe ich auch nachgedacht, mich jedoch dagegen entschieden. Die Kühlweste erreicht mich im Jahrmarkttheater und wird sofort ausprobiert. Sie ist Signalgelb, was mir beim Tragen eher den Anschein verleiht, ich würde Sozialstunden abarbeiten, als dass sie das Abenteuer-Image unterstützt, das ich eigentlich anstrebe. Immerhin kann ich die Weste von der Steuer absetzen. Dieser Gedanke motivierte mich dann direkt zum Kauf eines LIDL online Schnäppchens und ich bin jetzt stolze Besitzerin eines Kuppelzelts »Nevada 3« mit Vorzelt und 1,24 m2 Wohnfläche.
Ich habe mich mittlerweile deutlich besser über das Projekt, die Organisation und das Leben vor Ort informiert. Beim Durchblättern des Infomaterials überkamen mich große Zweifel, ob ich nicht doch ein Airbnb mit Cocktail-Flatrate hätte buchen sollen. Oder einfach zu meinem Vater aufs Brandenburger Land gehen oder den Sommer in Berlin genießen. Freund:innen besuchen, für die ich zu wenig Zeit habe, Bücher lesen, die in meinem Regal auf mich warten, kochen, was ich schon immer mal kochen wollte oder oder oder. Aber ich weiß, wenn ich nicht wegfahre, dann nehme ich einfach immer weiter Aufträge an und arbeite und selbst wenn ich wegfahre und dort nichts zu tun habe, arbeite ich von woauchimmer aus weiter. Und ich arbeite auch gerne, aber ich muss einfach etwas anderes tun, sonst fange ich an, meine schöne Arbeit zu hassen. Und meine schöne Wohnung und den Sommer in Berlin und das Haus meines Vaters in Brandenburg und wem will ich vormachen, dass ich dann anfangen würde zu kochen? Ich würde anfangen das Zugfahren durch Deutschland zu hassen, die Hotelfrühstücks, die Sofas im Backstage, die Gespräche im Backstage, die belegten Brötchen im Backstage, meine Zettel, meine Intros und meine überprobte Authentizität.
So wie ich irgendwann im vierten Semester an der Regieschule anfing, die Proben zu hassen. Die Konzeptgespräche, den Geruch von Molton und Tanzteppich, die nie funktionierenden Beamer und Musikanlagen und die immer müden Schauspielstudierenden. Jeden Morgen gab ich meine große Liebe und Leidenschaft für das Theater bei Rüdiger, dem schwatzhaften Pförtner ab und erhielt dafür einen Schlüssel zum Proberaum. Dort würde ich dann zwischen müder Technik und nicht funktionierenden Schauspieler:innen darüber nachdenken, ob ich gerade versuche die Welt zu retten oder mich einfach nur nicht zu blamieren und was mein Plan B ist sollte beides scheitern. Aber eine wahre Künstlerin hat keinen Plan B, würde ich mir dann innerlich vorwurfsvoll zurufen. Eine wahre Künstlerin brennt für ihre Kunst und wenn sie dabei ausbrennt. Scheitern hat im Künstlerinnendasein keine Existenzberechtigung, außer als Rückblick in Oscar-Reden. Es war eine Kombination aus Perspektivwechsel durch Poetry Slam und die Corona-Zwangsreflektion, die mich daran erinnerte, dass ich mich im Theater wohl fühle. Dass alles Inszenierung ist und wie spannend das ist. Alles ist Geschichtenerzählen. Alles ist fantastisch. Ich merkte direkt und sehr klar, dass ich die Gelegenheit des Lockdowns nicht nutzen wollte, um zu einem systemrelevanten Beruf umzuschulen. Dass ich eigentlich glücklich war, wo ich war. Auf der Bühne, vor der Bühne, hinter der Bühne, mittlerweile schreibend für die Bühne. Und damit das so bleibt, mache ich jetzt diese Schildkrötensache.
Sebastian hat mir mittlerweile, leicht belustigt, auf meine Hey-lange-nicht-gesehen-rate-mal-wo-ich-mich-angemeldet-hab-Nachricht geantwortet (Hahaha das ist ja super! Haha) und schickt mir liebe Grüße aus Australien, wo er aktuell arbeitet.
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26.07.24 Berlin
Noch ein paar Tage bis zum Abflug. Die Proben sind durch und damit das letzte große Projekt vor Kreta. Die Premiere war ein voller Erfolg, Bostelwiebeck war begeistert, aber der Endprobenstress saß mir noch einige Tage in den Knochen. In anderen Ländern werden Endproben auch Bloody Rehearsals also Blutige Proben genannt: Der Druck steigt, alle werden nervös, irgendwas geht immer schief. Und sei es nur, dass ein dringend benötigter Adapter nicht ankommt oder ein Requisit oder ein paar Schuhe. Manchmal wird jemand plötzlich krank oder verletzt sich, immer zweifelt irgendjemand am künstlerischen Wert der Inszenierung oder an sich selbst und fürchtet sich vor den Kritiken. Manchmal machen die geringen Vorverkaufszahlen schlechte Laune. Bei Open-Air-Theater können auch schwierige Wetterverhältnisse dazu kommen, da im Regen nicht einfach weitergespielt werden kann. Wenn ich eins im Theater gelernt habe: Immer ist irgendwas und man fährt gut damit, sich von vornherein darauf einzustellen. Ich wurde schon während meines Regie-Studiums für meine besonnene Art in Endproben gelobt, vor allem von Schauspieler:innen. Denn es gibt in der Regie leider immernoch viel zu viele cholerische Arschlöcher, die ihre Macht ausnutzen, um andere Leute fertig zu machen. Der Umgangston ist da manchmal schlimmer als in der Sterneküche. Und auch wenn es keine katastrophalen Umstände sind, auch wenn sich die Leute während der Proben nicht anschreien und beleidigen, so leiden viele unter dem Gefühl von mangelnder Wertschätzung und fehlender künstlerischer Entfaltung. Ein allgemeiner Umstand, dem ich mit meiner Arbeit als Regisseurin versuche, irgendwie entgegen zu wirken. Ich denke an die vielen Gründe am Theater zu arbeiten. Ich denke viele landen am Theater, weil sie dort zum ersten Mal die Erfahrung machen, dass sie anders sein dürfen. Weil sie für ihre Fantasie bewundert und nicht ausgelacht werden. Weil sie sich gerne mit skurrilen Dingen und schrulligen Menschen umgeben. Weil sie dort tiefe Freundschaften schließen. Weil sie zusammen an etwas glauben. Ich denke, andere landen am Theater weil sie größenwahnsinnig sind, emotionale Grenzerfahrungen machen wollen oder praktischerweise mit jemand verwandt/verschwägert sind, der sie relativ leicht an eine gute Position bringen kann und dann bleiben sie halt da. Letztere werden meistens Regisseure und in Endproben unausstehlich. Ich hingegen verfüge da über einen ganz guten gewaltfreien Krisenmodus (behaupte ich jetzt einfach mal) in dem ich, auch bei steigender Anspannung eine radikale Konstruktivität einschalten und einfordern kann. Das kostet allerdings auch viel Kraft und das spüre ich auch jetzt noch, da ich wieder zurück in meiner Berliner Wohnung sitze und mit meiner besten Freundin und Mitbewohnerin Kaffee trinke.
“Nach einer Premiere müsste man sich doch auch mindestens eine Woche frei nehmen, um wieder klarzukommen", sagt sie. Auch wenn sie Recht hat, sieht es in der Realität leider ganz anders aus. Seit ein paar Jahren haben Schausieler:innen (und meines Wissens nach nur die) am Theater ein Recht auf einen (und nur einen) freien Tag nach der Premiere. Festangestellte Schauspieler:innen an einem staatlich subventionierten Theater. Als selbstständige Künstlerin in der freien Szene kann und muss man sich selbst organisieren und die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeitslosigkeit sind mehr als fließend. Ich habe diesmal Glück. Für mich liegen zwischen der Premiere und meinem Abflug 10 Tage. In diesen 10 Tagen habe ich nicht viel zu tun, außer einem kleinen Dreh, Home-Office-Kram und einem größeren Auftritt in Hamburg bei der Pride Night, auf den ich mich sehr freue. Dazu kommt selbst gewählter Freizeitstress, wie zum Beispiel eine Schnitzeljagd durch Zehlendorf für meine kleine Schwester zum Geburtstag. Und packen. Und einkaufen. Und weil es mir zwischendurch zu viel wird, beginne ich, die Dinge einfach sehr, sehr langsam anzugehen. Ich wandele so von einer Aufgabe in die nächste, zwischendruch schau ich aus Fenstern. Mein Zimmer, die U-Bahn, der Kumpir-Laden meines Vertrauens. Das morgentliche Kaffeetrinken wird ewig in die Länge gezogen. Für die Strecke von Decathlon (wo ich mir noch eine Stirnlampe kaufen muss) zu mir nach Hause, radle ich doppelt so lang durch den Wedding wie normalerweise. Zwischen der einen und der anderen E-Mail wird ausgiebig der Hund gestreichelt und drei Mal vergessen, was ich machen wollte. Von Vorfreude ist da wenig zu spüren, vielleicht mehr die Ruhe vor dem Sturm. Vielleicht verwandle ich mich langsam selber in eine Schildkröte.
(mit meiner Stirnlampe seh ich aus wie eine Schildkröte)