Tag 0 Münster - Hannover - Kreta?
Ich wache morgens in Münster auf. Gestern habe ich noch meinem Freund beim Umzug geholfen. Er hat hier ziemlich spontan einen Job am Theater Münster angenommen und ich habe meinen Abflug auf den Tag nach seinem Umzug gelegt. Die Wohnung ist hell und offen
Wir stoßen an. “Ich freu mich schon dich zu besuchen. In nur zwei Wochen!” Tinos Begeisterungsfähigkeit und seine gute Laune ab Minute eins jeden Tages ist wohl das, wofür ich ihn am meisten schätze. (Vom gestrigen Tag abgesehen, da wurde er mit einer Abschlepp-Warnung aus dem Bett geklingelt.) Jetzt gerade bin ich aber emotional und auch sonst mit Loskommen beschäftigt. Und mit meinem viel zu großen Rucksack. Und mit der sich androheneden Bahnverspätung. Und mit dem Muskelkater in meinen Unterarmen. Und mit meiner Angst vorm Fliegen. Reisen ja. Fliegen nein. Schon allein, das ewige Rumhängen am Flughafen (oh wie sehr hatte ich keine Ahnung, was auf mich zukommt). Den Check-In hab ich gestern schon online gemacht. Eine Piktogramm-Collage wies mich darauf hin, dass ich meinen Segway nicht mit ins Handgepäck nehmen darf. Na zum Glück hab ich das noch rechtzeitig gelesen, das wäre ja mal wieder unangenehm geworden! Ich denke darüber nach, dass solche Hinweise ja dadurch enstanden sind, dass es Leute versucht haben und zwar so viele Leute, dass sich die Airline irgendewann dachte: “Man ey schon wieder eine, die versucht ihr Segwey mit ins Handgepäck zu nehmen -die muss man einchecken! Das kommt jetzt auch auf die Hinweistafel, dann müssen wir das nicht jedes Mal erklären.” “Ja super, dass du es ansprichst Gisela, ich wollte auch schon länger Feuerwerkskörper und Äxte ergänzen lassen!”
Kaum habe ich Münster verlassen, merke ich schnell wie dünnhäutig ich heute bin. Am Bahnhof in Hamm Westfahlen wurde ich von der Seite gefragt „Entschuldigung ich habe eine Frage“ Ich wollte keine Frage beantworten und war leicht nervös also starrte ich weiter auf mein Handy und wartete bis die Person sich jemand anderen suchte. „Hallo?“ hörte ich mit etwas mehr Nachdruck. Ich sagte „Nein gerade nicht“ und zwar sichtlich gestresst wegen der Zugverspätung. Und dann fragt die Person doch tatsächlich „Warum nicht?“ und ich bilde mir ein, dass die Person auch näher kam. Ich sah von meiner nutzlosen DB App hoch, schaute der Person ins Gesicht und sagte sehr direkt: „Ich bin beschäftigt.“ Was ein echauffiertes Schnauben nach sich zog und ein paar gemurmelte Beleidigungen zu den umstehenden Freunden. Der Zug nach Hannover hatte Verspätung, die S Bahn zum Flughafen auch. In der S Bahn fragte mich die Person auf dem Platz neben mir, ob sie ihr Ticket noch abstempeln müsste und auf die Antwort „Ja, aber kann man hier drin nicht, das geht nur auf dem Bahnsteig“ bricht sie beinah in Tränen aus. „Aber ich wusste das nicht! Ich fahre das erste mal mit der S Bahn! Ich habe hier auch einen Beleg, da steht die Uhrzeit drauf! Das muss doch reichen!“ Als wäre ich selbst die unbarmherzige Fahrkartenkontrolleurin von der ihr Leben abhinge. Ich versuche sie zu beruhigen (vielleicht kommt ja niemand zum Kontrollieren vorbei) doch das beruhigt sie überhaupt nicht. Ich entschließe mich, mir demonstrativ meine Kopfhörer ein zu setzen und Podcast zu hören, um das Geräusch ihrer Verzweiflung zu überdecken. Ich hatte meine eigenen Probleme. Durch die ganzen Verspätungen kam ich erst um 13 Uhr am Flughafen an. Eine Stunde vor Abflug. Der Check-In Schalter sollte bei A120-A122 sein, doch dort saß niemand. Was jetzt? Ich ging zur Mitarbeiterin einer anderen Airline.
„Entschuldigung, ich weiß nicht so recht was ich machen soll. Da steht ich soll mein Gepäck da drüben aufgeben aber da sitzt niemand.“
„Wann geht ihr Flug?“
„Um 14 Uhr.“
„Ja dann ist das schon geschlossen, Sie können den Rucksack nicht mehr einchecken.“
„...oh...und jetzt?“
„Sie können ihn hier lassen.“
„Aber ich brauch ihn ja.“
„Sie können ihn mit der Post schicken oder so.“
„Kann ich ihn mit einem späteren Flug schicken?“
„Nein, Gepäck darf nie ohne Personen mitfliegen.“
„An wen wende ich mich denn jetzt?“
„Tut mir leid, ich muss jetzt den Flug nach Mallorca borden.“
In der Abflughalle drehte ich mich um mich selbst und ging dann zu einem sehr großen Mann um die 60 der die Security Schlange betreute.
„Entschuldigen Sie, ich brauche Hilfe.“
„Ja die brauchen hier alle Hilfe“, sagte er mit strengem Ton und zeigte auf die Schlange an Leuten, die sich mit ihren QR Codes den Weg zur Security Schlange öffneten und sich dann (komplett ohne sein Zutun) an den einzig möglichen Platz stellten: Zwischen die Absperrung ans Ende der Schlange. Ich betrachtete die Situation, dann sah ich wieder zu ihm zurück. Er nickte jemandem zu, als wolle er sagen „Bin gleich wieder da“ aber ich sah nicht, wem genau er da zunickte und bezweifle, dass da jemand war.
„Also. Was gibts?“
„Mein Zug hatte Verspätung, jetzt bin ich zu spät für den Check-In und weiß nicht an wen ich mich wenden kann.“
„Gehen Sie runter zu Terminal B. Airport Service.“
50 Minuten vor Abflug.
Am Airport Service ist eine kurze Schlange und ich mache mit verzweifelt lautem Atem und einem „Mist“ auf mich aufmerksam. Da steht die Frau, die gerade noch neben mir in der S Bahn saß. „Oh je was ist?“, sagt sie so freundlich, dass ich ein unendlich schlechtes Gewissen bekomme, vorhin so abweisend gewesen zu sein. Mein Problem platze aus mir heraus, alle starrten mich an, man öffnete einen zweiten Schalter und zwei Herren in weißen Hemden winken mich zu sich an den Schalter. Kurz beruhigte ich mich. Wieder von vorne: Mein Zug hatte Verspätung, ich kann nicht mehr einchecken. Den Rucksack können Sie nicht mitnehmen. Sie können ihn hier lassen, kostet 15 Euro am Tag. Ich kann den nicht hier lassen, ich brauch das alles! Sie müssen jemanden anrufen, der ihnen den Rucksack hinterherschickt. Ich kann niemanden anrufen, ich wohne in Berlin!
Einer der beiden Mitarbeiter, der kleinere, ein bisschen ältere von beiden hatte dann gar keine Lust mehr auf mich und mein Problem. Wer eine Stunde vor Abflug am Flughafen ankommt, die hat ihr Recht auf Mitgefühl verwirkt. Er überließ mich seinem Kollegen. Dieser suchte in Ruhe nach alternativen Flügen. In Bonn gibt es einen für 400 Euro, aber auch ohne Aufgabegepäck. Ich fühlte mich irgendwie von ihm gesehen, auch wenn ich nicht wusste, was sein Vorschlag lösen sollte. Ich hörte mich hoffnungslos sagen, dass ich auch einen Tag später fliegen könnte, also morgen. Und dann sah er mich mit sehr sorgevollen Augen an: „Aber wo kommst du dann heute unter?“ Ich stockte. War ganz aus meinem Film gerissen. Von der Tatsache, dass er mich plötzlich duzte und von dieser irgendwie unverhältnismäßigen Fürsorge, war ich völlig vor den Kopf gestoßen. Sein Mitgefühl war unerwartet und in meiner sensiblen Verfassung auch bewegend.
„Ich find schon was“, sagte ich und versuchte irgendwie die Würde einer erwachsenen, selbstständigen Frau zurück zu gewinnen.
„Wann geht dein Flug?“
Ein Blick auf die Uhr. 13:30 Uhr.
„In einer halben Stunde.“
„Ich schau mal, ob ich was finde.“
Und da ging er weg. Und kam kurz darauf mit einem kleinen, roten Boarding Size Koffer zurück.
„Du packst jetzt nur das Nötigste hier rein und lässt den großen Rucksack da, den kannst du in einem Monat abholen, das kostet dich jetzt 10 Euro.“
Ich war überfordert mit der Frage, was jetzt genau „das Nötigste“ sei. Mein Zelt aber darf ich das mit ins Handgepäck nehmen? Meine Stirnlampe. Meine Kühlweste. Egal, alles rein. Mein Bikini. Sonnencreme? Darf nicht mit. Regenjacke? War von Anfang ne blöde Idee. Laptop? Ladekabel. Okay wird schon. Ich war so durch den Wind, dass mich gar nicht richtig beim Mitarbeiter des Airport Service Hannover bedanken konnte aber wenn ich in vier Wochen meinen Rucksack dort abhole, werde ich das nachholen. Noch zwanzig Minuten bis Abflug.
In der Schlange erkennt mich der sehr große, hoch motivierte Mann von der Security wieder. „Und hat alles geklappt?“, sagt er gemütlich. Ich stammelte vermutlich irgendwas wie „Ja na ja mal gucken noch sitz ich nicht im Flugzeug, ich weiß gar nicht ob ich das hier alles mitnehmen darf. Und ob ich das noch rechtzeitig schaffe.“ Er beruhigt mich: „Das wird schon. Machen Sie Urlaub?“ Ich erzählte ihm von den Meeresschildkröten, vor allem, weil ich das Universum nochmal an meine guten Absichten erinnern wollte. Es funktioniert. Ich darf mein Zelt samt Heringen, ausnahmsweise mit ins Flugzeug nehmen. Und 5 Minuten vor Abflug stehe ich in der Schlange zum Boarding. Und eine halbe Stunde später unterhalte mich mit meinen beiden fröhlichen Sitznachabrinnen. Ganz normaler Smalltalk, als wäre das ganze Drama gerade gar nicht passiert: Hast du studiert? Wann hast du Geburtstag? Was war dein schönster Urlaub? Wie heißt deine beste Freundin? Meine beiden Sitznachbarinnen Lucy und Lorien sind 10 Jahre alt. Ihre Aufsichtsperson sitzt sechs Reihen hinter uns, das finden die beiden aber nicht schlimm. Sie reichen mir ihre Stapelchips. Ich beantworte alle Fragen, während ich mir eine kleine Flasche lauwarmen Sekt für 8€ in einen Pappbecher gieße. Lucy hebt ihre Wasserflasche und sagt: “Prost.” Wir stoßen an. Ich sage ihnen, dass ich zwei beste Freundinnen habe: meine Schwester Heidi und meine Mitbewohnerin Anna, die schon in Griechenland auf mich wartet. Lucy und Lorien erzählen mir, dass sie auch noch drei weitere beste Freundinnen haben und später auch alle zusammen wohnen wollen. Außerdem erfahre ich, dass Lucy Schauspielerin oder Innenarchitektin werden will, Lorien Rechtsanwältin oder Berufsberaterin. Die Frage, wie sie auf Berufsberaterin kommt, beantworte sie nur mit einem grinsenden Schulterzucken und sagt schließlich: „Oder halt Rechtsanwältin.“
„Ich find aber Berufsberaterin klingt auch cool.“ Daraufhin sagt sie nichts und drückt alle erreichbaren Knöpfe um sie herum. Ich hingegen lasse mich in meinen Sitz sinken und versuche mich zu erinnern, was ich jetzt eigentlich genau eingepackt habe.
Ich wache morgens in Münster auf. Gestern habe ich noch meinem Freund beim Umzug geholfen. Er hat hier ziemlich spontan einen Job am Theater Münster angenommen und ich habe meinen Abflug auf den Tag nach seinem Umzug gelegt. Die Wohnung ist hell und offen
Wir stoßen an. “Ich freu mich schon dich zu besuchen. In nur zwei Wochen!” Tinos Begeisterungsfähigkeit und seine gute Laune ab Minute eins jeden Tages ist wohl das, wofür ich ihn am meisten schätze. (Vom gestrigen Tag abgesehen, da wurde er mit einer Abschlepp-Warnung aus dem Bett geklingelt.) Jetzt gerade bin ich aber emotional und auch sonst mit Loskommen beschäftigt. Und mit meinem viel zu großen Rucksack. Und mit der sich androheneden Bahnverspätung. Und mit dem Muskelkater in meinen Unterarmen. Und mit meiner Angst vorm Fliegen. Reisen ja. Fliegen nein. Schon allein, das ewige Rumhängen am Flughafen (oh wie sehr hatte ich keine Ahnung, was auf mich zukommt). Den Check-In hab ich gestern schon online gemacht. Eine Piktogramm-Collage wies mich darauf hin, dass ich meinen Segway nicht mit ins Handgepäck nehmen darf. Na zum Glück hab ich das noch rechtzeitig gelesen, das wäre ja mal wieder unangenehm geworden! Ich denke darüber nach, dass solche Hinweise ja dadurch enstanden sind, dass es Leute versucht haben und zwar so viele Leute, dass sich die Airline irgendewann dachte: “Man ey schon wieder eine, die versucht ihr Segwey mit ins Handgepäck zu nehmen -die muss man einchecken! Das kommt jetzt auch auf die Hinweistafel, dann müssen wir das nicht jedes Mal erklären.” “Ja super, dass du es ansprichst Gisela, ich wollte auch schon länger Feuerwerkskörper und Äxte ergänzen lassen!”
Kaum habe ich Münster verlassen, merke ich schnell wie dünnhäutig ich heute bin. Am Bahnhof in Hamm Westfahlen wurde ich von der Seite gefragt „Entschuldigung ich habe eine Frage“ Ich wollte keine Frage beantworten und war leicht nervös also starrte ich weiter auf mein Handy und wartete bis die Person sich jemand anderen suchte. „Hallo?“ hörte ich mit etwas mehr Nachdruck. Ich sagte „Nein gerade nicht“ und zwar sichtlich gestresst wegen der Zugverspätung. Und dann fragt die Person doch tatsächlich „Warum nicht?“ und ich bilde mir ein, dass die Person auch näher kam. Ich sah von meiner nutzlosen DB App hoch, schaute der Person ins Gesicht und sagte sehr direkt: „Ich bin beschäftigt.“ Was ein echauffiertes Schnauben nach sich zog und ein paar gemurmelte Beleidigungen zu den umstehenden Freunden. Der Zug nach Hannover hatte Verspätung, die S Bahn zum Flughafen auch. In der S Bahn fragte mich die Person auf dem Platz neben mir, ob sie ihr Ticket noch abstempeln müsste und auf die Antwort „Ja, aber kann man hier drin nicht, das geht nur auf dem Bahnsteig“ bricht sie beinah in Tränen aus. „Aber ich wusste das nicht! Ich fahre das erste mal mit der S Bahn! Ich habe hier auch einen Beleg, da steht die Uhrzeit drauf! Das muss doch reichen!“ Als wäre ich selbst die unbarmherzige Fahrkartenkontrolleurin von der ihr Leben abhinge. Ich versuche sie zu beruhigen (vielleicht kommt ja niemand zum Kontrollieren vorbei) doch das beruhigt sie überhaupt nicht. Ich entschließe mich, mir demonstrativ meine Kopfhörer ein zu setzen und Podcast zu hören, um das Geräusch ihrer Verzweiflung zu überdecken. Ich hatte meine eigenen Probleme. Durch die ganzen Verspätungen kam ich erst um 13 Uhr am Flughafen an. Eine Stunde vor Abflug. Der Check-In Schalter sollte bei A120-A122 sein, doch dort saß niemand. Was jetzt? Ich ging zur Mitarbeiterin einer anderen Airline.
„Entschuldigung, ich weiß nicht so recht was ich machen soll. Da steht ich soll mein Gepäck da drüben aufgeben aber da sitzt niemand.“
„Wann geht ihr Flug?“
„Um 14 Uhr.“
„Ja dann ist das schon geschlossen, Sie können den Rucksack nicht mehr einchecken.“
„...oh...und jetzt?“
„Sie können ihn hier lassen.“
„Aber ich brauch ihn ja.“
„Sie können ihn mit der Post schicken oder so.“
„Kann ich ihn mit einem späteren Flug schicken?“
„Nein, Gepäck darf nie ohne Personen mitfliegen.“
„An wen wende ich mich denn jetzt?“
„Tut mir leid, ich muss jetzt den Flug nach Mallorca borden.“
In der Abflughalle drehte ich mich um mich selbst und ging dann zu einem sehr großen Mann um die 60 der die Security Schlange betreute.
„Entschuldigen Sie, ich brauche Hilfe.“
„Ja die brauchen hier alle Hilfe“, sagte er mit strengem Ton und zeigte auf die Schlange an Leuten, die sich mit ihren QR Codes den Weg zur Security Schlange öffneten und sich dann (komplett ohne sein Zutun) an den einzig möglichen Platz stellten: Zwischen die Absperrung ans Ende der Schlange. Ich betrachtete die Situation, dann sah ich wieder zu ihm zurück. Er nickte jemandem zu, als wolle er sagen „Bin gleich wieder da“ aber ich sah nicht, wem genau er da zunickte und bezweifle, dass da jemand war.
„Also. Was gibts?“
„Mein Zug hatte Verspätung, jetzt bin ich zu spät für den Check-In und weiß nicht an wen ich mich wenden kann.“
„Gehen Sie runter zu Terminal B. Airport Service.“
50 Minuten vor Abflug.
Am Airport Service ist eine kurze Schlange und ich mache mit verzweifelt lautem Atem und einem „Mist“ auf mich aufmerksam. Da steht die Frau, die gerade noch neben mir in der S Bahn saß. „Oh je was ist?“, sagt sie so freundlich, dass ich ein unendlich schlechtes Gewissen bekomme, vorhin so abweisend gewesen zu sein. Mein Problem platze aus mir heraus, alle starrten mich an, man öffnete einen zweiten Schalter und zwei Herren in weißen Hemden winken mich zu sich an den Schalter. Kurz beruhigte ich mich. Wieder von vorne: Mein Zug hatte Verspätung, ich kann nicht mehr einchecken. Den Rucksack können Sie nicht mitnehmen. Sie können ihn hier lassen, kostet 15 Euro am Tag. Ich kann den nicht hier lassen, ich brauch das alles! Sie müssen jemanden anrufen, der ihnen den Rucksack hinterherschickt. Ich kann niemanden anrufen, ich wohne in Berlin!
Einer der beiden Mitarbeiter, der kleinere, ein bisschen ältere von beiden hatte dann gar keine Lust mehr auf mich und mein Problem. Wer eine Stunde vor Abflug am Flughafen ankommt, die hat ihr Recht auf Mitgefühl verwirkt. Er überließ mich seinem Kollegen. Dieser suchte in Ruhe nach alternativen Flügen. In Bonn gibt es einen für 400 Euro, aber auch ohne Aufgabegepäck. Ich fühlte mich irgendwie von ihm gesehen, auch wenn ich nicht wusste, was sein Vorschlag lösen sollte. Ich hörte mich hoffnungslos sagen, dass ich auch einen Tag später fliegen könnte, also morgen. Und dann sah er mich mit sehr sorgevollen Augen an: „Aber wo kommst du dann heute unter?“ Ich stockte. War ganz aus meinem Film gerissen. Von der Tatsache, dass er mich plötzlich duzte und von dieser irgendwie unverhältnismäßigen Fürsorge, war ich völlig vor den Kopf gestoßen. Sein Mitgefühl war unerwartet und in meiner sensiblen Verfassung auch bewegend.
„Ich find schon was“, sagte ich und versuchte irgendwie die Würde einer erwachsenen, selbstständigen Frau zurück zu gewinnen.
„Wann geht dein Flug?“
Ein Blick auf die Uhr. 13:30 Uhr.
„In einer halben Stunde.“
„Ich schau mal, ob ich was finde.“
Und da ging er weg. Und kam kurz darauf mit einem kleinen, roten Boarding Size Koffer zurück.
„Du packst jetzt nur das Nötigste hier rein und lässt den großen Rucksack da, den kannst du in einem Monat abholen, das kostet dich jetzt 10 Euro.“
Ich war überfordert mit der Frage, was jetzt genau „das Nötigste“ sei. Mein Zelt aber darf ich das mit ins Handgepäck nehmen? Meine Stirnlampe. Meine Kühlweste. Egal, alles rein. Mein Bikini. Sonnencreme? Darf nicht mit. Regenjacke? War von Anfang ne blöde Idee. Laptop? Ladekabel. Okay wird schon. Ich war so durch den Wind, dass mich gar nicht richtig beim Mitarbeiter des Airport Service Hannover bedanken konnte aber wenn ich in vier Wochen meinen Rucksack dort abhole, werde ich das nachholen. Noch zwanzig Minuten bis Abflug.
In der Schlange erkennt mich der sehr große, hoch motivierte Mann von der Security wieder. „Und hat alles geklappt?“, sagt er gemütlich. Ich stammelte vermutlich irgendwas wie „Ja na ja mal gucken noch sitz ich nicht im Flugzeug, ich weiß gar nicht ob ich das hier alles mitnehmen darf. Und ob ich das noch rechtzeitig schaffe.“ Er beruhigt mich: „Das wird schon. Machen Sie Urlaub?“ Ich erzählte ihm von den Meeresschildkröten, vor allem, weil ich das Universum nochmal an meine guten Absichten erinnern wollte. Es funktioniert. Ich darf mein Zelt samt Heringen, ausnahmsweise mit ins Flugzeug nehmen. Und 5 Minuten vor Abflug stehe ich in der Schlange zum Boarding. Und eine halbe Stunde später unterhalte mich mit meinen beiden fröhlichen Sitznachabrinnen. Ganz normaler Smalltalk, als wäre das ganze Drama gerade gar nicht passiert: Hast du studiert? Wann hast du Geburtstag? Was war dein schönster Urlaub? Wie heißt deine beste Freundin? Meine beiden Sitznachbarinnen Lucy und Lorien sind 10 Jahre alt. Ihre Aufsichtsperson sitzt sechs Reihen hinter uns, das finden die beiden aber nicht schlimm. Sie reichen mir ihre Stapelchips. Ich beantworte alle Fragen, während ich mir eine kleine Flasche lauwarmen Sekt für 8€ in einen Pappbecher gieße. Lucy hebt ihre Wasserflasche und sagt: “Prost.” Wir stoßen an. Ich sage ihnen, dass ich zwei beste Freundinnen habe: meine Schwester Heidi und meine Mitbewohnerin Anna, die schon in Griechenland auf mich wartet. Lucy und Lorien erzählen mir, dass sie auch noch drei weitere beste Freundinnen haben und später auch alle zusammen wohnen wollen. Außerdem erfahre ich, dass Lucy Schauspielerin oder Innenarchitektin werden will, Lorien Rechtsanwältin oder Berufsberaterin. Die Frage, wie sie auf Berufsberaterin kommt, beantworte sie nur mit einem grinsenden Schulterzucken und sagt schließlich: „Oder halt Rechtsanwältin.“
„Ich find aber Berufsberaterin klingt auch cool.“ Daraufhin sagt sie nichts und drückt alle erreichbaren Knöpfe um sie herum. Ich hingegen lasse mich in meinen Sitz sinken und versuche mich zu erinnern, was ich jetzt eigentlich genau eingepackt habe.