Tag 1 und 2 Kreta
Meine erste Nacht war so holprig, wie es die Anreise erwarten ließ. Google Maps lag mit seiner Zeiteinschätzung komplett daneben und ich brauchte doppelt so lang vom Flughafen in die nächste Stadt wie gedacht. Während der Busfahrt wurde es dunkel und ich mal wieder nervös. Ich könnte jetzt in meiner wunderschönen Berliner Wohnung sitzen und den Sommer mit Tagen am See, Abenden im Freiluftkino, Nächten im Club und Morgen in Cafés und auf Flohmärkten verbringen. Stattdessen bin ich mutterseelenallein in einem Bus, der vor sich hin und in die Dunkelheit dümpelt. Um mich herum leuchten die Displays auf, die die Gesichter der anderen Passagiere von unten beleuchten. Die meisten hören Musik, schauen Filme oder scrollen durch Whatsapp und Instagram. Ich schaue aus dem Fenster und sehe, wie ein nahezu roter Sichel-Mond im Meer versinkt. Der Bus fährt entlang der Küste. Schon sehr schön hier, denke ich. Aber auch gruselig, wenn ich mir das schwarze Meer mit seinen hoch schäumenden Wellen ansehe. Als ich in der Stadt ankomme, ist es fast 22 Uhr und meine Reisefreude ist komplett im Keller. Scheiß drauf. Ich lasse mich mit dem nächstbesten Taxi bis zum Camp fahren und schleife, übermüdet und orientierungslos, meinen Boarding Size Koffer über den Schotterweg -nicht ganz der Auftritt, den ich mir vorgestellt hatte. Im Camp sitzt eine muntere Gruppe im Stuhlkreis und spielt Werwolf. Jemand zeigt mir, wo ich mein Lager aufschlagen kann und sofort kommen mir mindestens drei Camp-Bewohnerinnen zur Hilfe. Im Endeffekt bauen sie mein Zelt auf und ich ziehe mich recht schnell darin zurück. Ein Blick in meinen Notfallkoffer verrät, dass ich keinen Schlafsack mehr habe. Dieser schlummert in meinem Backpack, in einer Abstellkammer im Terminal B des Flughafens in Hannover. Ich lege mein Handtuch als Laken auf die Isomatte, benutze meine Hängematte als Kopfkissen und decke mich mit einem Kimono zu. Es hat vermutlich 20 Grad draußen, frieren werde ich also nicht, aber der Kimono ist trotzdem nicht groß genug, um sich damit entspannt zu zu decken. Erstmal tief einatmen und ausatmen.
Nachts wache ich immer wieder auf. Zwei, drei Mal fällt etwas mit einem lauten dumpfen Plumpsen auf mein Zelt herab, was sich später als Feige herausstellen wird. Ich habe mein Zelt inmitten von Feigenbäumen aufgeschlagen. Um 5:30 Uhr morgens merke ich dann, wie ein sehr großes Tier in der Nähe meines Zelts herumschleicht. Zuerst denke ich, es handelt sich um Menschen, aber dann vernehme ich so eine Art Grunzen, Röcheln, Schnauben? In Deutschland hätte ich jetzt Angst vor Wildschweinen. Gibt es Wildschweine auf Kreta? Ich trau mich fast nicht hinaus zu schauen. Tue es dann aber doch. Und dann seh ich sie. Direkt vor meiner Nase, aber hinter einem Zaun: drei Esel. Neugierig spähen sie aneinander vorbei auf ihre neue zweibeinige Nachbarin und knabbern am Zaun, als ich ihnen meine Hand zur Begrüßung hin halte. Seit ich Lotta Lubkolls Buch über ihre Wanderung mit ihrem Esel Johnny gelesen habe, bin ich großer Fan dieser friedlichen, lustigen Tiere geworden. Ich habe auch schon mal eine geführte Eselwanderung in der Lüneburger Heide gemacht. In der Dämmerung kann ich ihre Fellfarbe nicht erkennen, aber ich schätze, dass es sich um Zwergesel handelt. Diese werden nur etwa einen Meter hoch. Sie interessieren sich so lange für mich, wie sie denken, ich habe vielleicht etwas zu essen für sie und lassen mich kurz ihre sehr, sehr weichen Nüstern streicheln. Dann schlendern sie allesamt weiter, den Kopf schnüffelnd nach unten gehalten, um aus dem sandigen Boden ein paar trockene Grashalme ab zu knapsen. Entzückt von dieser Begegnung lege ich mich nochmal hin. Ich komme endlich auf den Gedanken, meine Hängematte nicht als Kopfkissen, sondern als Decke zu benutzen und mein Dunkel-Zelt auch komplett zu schließen, sodass es wirklich erstaunlich dunkel ist. Meine Hängematte erweist sich als großartige Decke und ich kann endlich ein paar Stunden ohne Probleme schlafen.
Am ersten Tag auf Kreta bin ich ziemlich überwältigt von den vielen Informationen: Leute, Hitze, Tiere, Aufgaben, viele Leute, viele Namen und immer wieder dieselben Gespräche: How are you? Where are you from? Is it your first time? Die Camp-Sprache ist Englisch. Am Anfang finde ich es befremdlich, mit den anderen wenigen Deutschen hier auch englisch zu reden, wenn weit und breit, keine andere Person in der Nähe ist aber ich finde, es schafft tatsächlich eine angenehme Atmosphäre. Dadurch, dass es alle tun, bin ich in dieser internationalen Gruppe nicht durch eine natürliche Sprachbarriere von Gesprächen ausgeschlossen. Man versteht ja trotzdem, ob das Gespräch gerade privater Natur ist oder ob man sich (wie in den meisten Fällen) dazu setzen und der Unterhaltung anschließen kann. Ich habe an diesem Tag genau drei Termine für je eine Stunde: eine Einführung in den Bereich “Im Camp”, eine in den Bereich “Am Strand” und in den Bereich “Vermittlung”. In jedem dieser Bereiche gibt es unterschiedliche Aufgaben und Schichten, die Schichten gehen zwischen 2-3 Stunden, in der Regel hat man zwei davon pro Tag. Es gibt aber auch halbe und freie Tage. Strandschichten können aber auch mal länger werden. Aber das seh ich dann schon alles. Die Einführungen sind eins-zu-eins Gesprächen, bei dem eine oder einer der Teamleiter:innen sich mit mir zusammensetzt, mich fragt, wie es mir geht und mir eine Power Point Präsentation auf einem Laptop zeigt. Es gibt viele verschiedene Tätigkeiten. Vom Kochen bis zum Halten einer Präsentation in einem der umliegenden 5 Sterne Hotels ist alles dabei, alle machen alles. Mal wird mehr los sein, mal weniger, mal wird die Strandschicht länger dauern, weil man zu viele Nester umsetzen muss und mal darf man im 5-Sterne-Hotel abendessen, aber das seh ich dann schon alles. Mein erster Eindruck ist sehr positiv. Alles wirkt strukturiert und gleichzeitig (oder vielleicht gerade deswegen) sehr locker. Alle wirken beschäftigt, aber nicht gestresst. Das einzige was jetzt noch fehlt, ist ein Sprung ins Meer. Das Base Camp grenzt direkt an den Strand, doch die hohen Wellen sind wenig einladend. Das rote Fähnchen neben dem Rettungsschwimmer-Turm bedeutet, dass der Wellengang zu stark ist und es nicht sicher ist, im Meer zu schwimmen. Ich stelle mich barfuß ans Ufer und lasse die schäumenden Wellen meine Knöchel umspielen. Ich habe grundsätzlich großen Respekt vor tiefen Gewässern, aber einmal kurz ins Mittelmeer? Kann nicht schaden. Ich taste mich vor, bis ich zum Bauchnabel im Wasser stehe. Eine hohe Welle klatscht mir ihr salziges Wasser ins Gesicht und ich spüre die Strömung, die sie nach sich zieht. Ja, reicht für heute, denke ich und seh zu, dass ich Land gewinne.
Meine zweite Nacht ist wirklich kaum besser als die erste und ich beschließe, dass sich an meinem Schlafkomfort dringend etwas ändern muss. Daher bin ich geradezu erleichtert, als um 5 Uhr morgens mein Wecker klingelt für meine allererste Schicht am Strand. Der 12 Kilometer lange Strand ist in verschiedene Abschnitte unterteilt, die morgens jeweils von einem Team aus Volontären erkundet werden (ich will irgendwie nicht “patrouilliert” schreiben, weil das so militärisch klingt, wohingegen ich finde, dass “erkunden” für das, was wir tun ein bisschen zu kindisch klingt, naja). Zwanzig Minuten nach Weckerklingeln sitze ich also mit meiner Kollegin im Auto und fahre zu unserem Strandabschnitt. Dort sitzen wir ein paar Minuten, bis die Sonne aufgeht. Ein unfassbar schöner Moment. Hat sich ja jetzt schon gelohnt.
Auf unserer Strand-Patrouille suchen wir zwei Dinge: Nester und Gefahren. Ich bekomme das Notizbuch zum Aufschreiben der Gefahren in die Hand gedrückt, meine Partnerin notiert alles zu den Nestern. Die Brutzeit der Schildkröten beginnt schon im Mai und hält bis August an, aber das bedeutet, dass die meisten Nester bereits gemacht sind und auch schon von Tierschützer:innen gefunden und markiert wurden. In dem Moment, in dem ein:e Tierschützer:in ein Nest markiert, steht dieses unter Naturschutz und es ist illegal, dieses zu (zer)stören. Im August ist Schlüpfzeit, das heißt, unsere Aufgabe besteht darin, die bereits markierten Nester zu überprüfen und nach zu sehen, ob wir Spuren von Babyschildkröten sehen, die geschlüpft sind. Babyschildkrötenspuren sehen ein bisschen aus wie ein ungleicher Reißverschluss oder klitze kleine Trecker-Spuren im Sand. Die Bewegung, die Schildkröten im Sand machen, ist dieselbe, wie die, wenn sie sich im Wasser fortbewegen. Gleich beim ersten Nest, welches wir überprüfen, handelt es sich um einen First Hatch (ein Erst-Schlüpfling!). Das Datum des Erst-Schlüpflings wird mit Edding auf einer Tafel an der Nest-Markierung notiert. Steht keines dran und man sieht Spuren, die vom Nest ausgehen, hat man gerade einen Erst-Schlüpfling entdeckt. Die Spuren verlaufen vorbildlich vom Nest geradewegs ins Meer. In diesem Fall besteht unsere Aufgabe hauptsächlich darin, den Geburtstag auf die Tafel zu schreiben und dies im Buch zu notieren. Bei einem anderen Nest, denke ich zuerst, dass es sich um eine große Gruppe von Schlüpflingen handeln muss, weil so viele Spuren im Sand zu sehen sind. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass es eine einzige war, die kreuz und quer über den Strand lief. Wir verfolgten die Spur, die glücklicherweise ebenfalls im Meer endete. Insgesamt verläuft diese erste Schicht ziemlich ruhig. Meine Partnerin ist ebenfalls aus Deutschland und wir können uns mal ein bisschen auf deutsch unterhalten, was für zwischendurch ganz angenehm ist. Im Gegensatz zu mir, ist sie nicht das erste Mal dabei. Viele, mit denen ich mich bisher unterhalten habe, kommen immer wieder. Am Strand wird es mit steigender Sonne zwar immer wärmer, aber bis zum Schichtende nach zwei Stunden, bleibt die Temperatur herrlich mild und es weht ein leichter Wind. Beim Treffpunkt angekommen, erhalten wir allerdings eine Nachricht: ein anderes Team braucht Unterstützung. Sie haben so viele Schlüpflinge und sind noch ein gutes Stück vom Ende ihres Abschnitts entfernt. Wir fahren zurück an unseren Ausgangspunkt und laufen den Strand, diesmal in die andere Richtung, ab, um ihnen entgegenzukommen. Kurz darauf treffen wir das andere Team und eine Babyschildkröte, die ein bisschen Hilfe braucht.
Meine erste Nacht war so holprig, wie es die Anreise erwarten ließ. Google Maps lag mit seiner Zeiteinschätzung komplett daneben und ich brauchte doppelt so lang vom Flughafen in die nächste Stadt wie gedacht. Während der Busfahrt wurde es dunkel und ich mal wieder nervös. Ich könnte jetzt in meiner wunderschönen Berliner Wohnung sitzen und den Sommer mit Tagen am See, Abenden im Freiluftkino, Nächten im Club und Morgen in Cafés und auf Flohmärkten verbringen. Stattdessen bin ich mutterseelenallein in einem Bus, der vor sich hin und in die Dunkelheit dümpelt. Um mich herum leuchten die Displays auf, die die Gesichter der anderen Passagiere von unten beleuchten. Die meisten hören Musik, schauen Filme oder scrollen durch Whatsapp und Instagram. Ich schaue aus dem Fenster und sehe, wie ein nahezu roter Sichel-Mond im Meer versinkt. Der Bus fährt entlang der Küste. Schon sehr schön hier, denke ich. Aber auch gruselig, wenn ich mir das schwarze Meer mit seinen hoch schäumenden Wellen ansehe. Als ich in der Stadt ankomme, ist es fast 22 Uhr und meine Reisefreude ist komplett im Keller. Scheiß drauf. Ich lasse mich mit dem nächstbesten Taxi bis zum Camp fahren und schleife, übermüdet und orientierungslos, meinen Boarding Size Koffer über den Schotterweg -nicht ganz der Auftritt, den ich mir vorgestellt hatte. Im Camp sitzt eine muntere Gruppe im Stuhlkreis und spielt Werwolf. Jemand zeigt mir, wo ich mein Lager aufschlagen kann und sofort kommen mir mindestens drei Camp-Bewohnerinnen zur Hilfe. Im Endeffekt bauen sie mein Zelt auf und ich ziehe mich recht schnell darin zurück. Ein Blick in meinen Notfallkoffer verrät, dass ich keinen Schlafsack mehr habe. Dieser schlummert in meinem Backpack, in einer Abstellkammer im Terminal B des Flughafens in Hannover. Ich lege mein Handtuch als Laken auf die Isomatte, benutze meine Hängematte als Kopfkissen und decke mich mit einem Kimono zu. Es hat vermutlich 20 Grad draußen, frieren werde ich also nicht, aber der Kimono ist trotzdem nicht groß genug, um sich damit entspannt zu zu decken. Erstmal tief einatmen und ausatmen.
Nachts wache ich immer wieder auf. Zwei, drei Mal fällt etwas mit einem lauten dumpfen Plumpsen auf mein Zelt herab, was sich später als Feige herausstellen wird. Ich habe mein Zelt inmitten von Feigenbäumen aufgeschlagen. Um 5:30 Uhr morgens merke ich dann, wie ein sehr großes Tier in der Nähe meines Zelts herumschleicht. Zuerst denke ich, es handelt sich um Menschen, aber dann vernehme ich so eine Art Grunzen, Röcheln, Schnauben? In Deutschland hätte ich jetzt Angst vor Wildschweinen. Gibt es Wildschweine auf Kreta? Ich trau mich fast nicht hinaus zu schauen. Tue es dann aber doch. Und dann seh ich sie. Direkt vor meiner Nase, aber hinter einem Zaun: drei Esel. Neugierig spähen sie aneinander vorbei auf ihre neue zweibeinige Nachbarin und knabbern am Zaun, als ich ihnen meine Hand zur Begrüßung hin halte. Seit ich Lotta Lubkolls Buch über ihre Wanderung mit ihrem Esel Johnny gelesen habe, bin ich großer Fan dieser friedlichen, lustigen Tiere geworden. Ich habe auch schon mal eine geführte Eselwanderung in der Lüneburger Heide gemacht. In der Dämmerung kann ich ihre Fellfarbe nicht erkennen, aber ich schätze, dass es sich um Zwergesel handelt. Diese werden nur etwa einen Meter hoch. Sie interessieren sich so lange für mich, wie sie denken, ich habe vielleicht etwas zu essen für sie und lassen mich kurz ihre sehr, sehr weichen Nüstern streicheln. Dann schlendern sie allesamt weiter, den Kopf schnüffelnd nach unten gehalten, um aus dem sandigen Boden ein paar trockene Grashalme ab zu knapsen. Entzückt von dieser Begegnung lege ich mich nochmal hin. Ich komme endlich auf den Gedanken, meine Hängematte nicht als Kopfkissen, sondern als Decke zu benutzen und mein Dunkel-Zelt auch komplett zu schließen, sodass es wirklich erstaunlich dunkel ist. Meine Hängematte erweist sich als großartige Decke und ich kann endlich ein paar Stunden ohne Probleme schlafen.
Am ersten Tag auf Kreta bin ich ziemlich überwältigt von den vielen Informationen: Leute, Hitze, Tiere, Aufgaben, viele Leute, viele Namen und immer wieder dieselben Gespräche: How are you? Where are you from? Is it your first time? Die Camp-Sprache ist Englisch. Am Anfang finde ich es befremdlich, mit den anderen wenigen Deutschen hier auch englisch zu reden, wenn weit und breit, keine andere Person in der Nähe ist aber ich finde, es schafft tatsächlich eine angenehme Atmosphäre. Dadurch, dass es alle tun, bin ich in dieser internationalen Gruppe nicht durch eine natürliche Sprachbarriere von Gesprächen ausgeschlossen. Man versteht ja trotzdem, ob das Gespräch gerade privater Natur ist oder ob man sich (wie in den meisten Fällen) dazu setzen und der Unterhaltung anschließen kann. Ich habe an diesem Tag genau drei Termine für je eine Stunde: eine Einführung in den Bereich “Im Camp”, eine in den Bereich “Am Strand” und in den Bereich “Vermittlung”. In jedem dieser Bereiche gibt es unterschiedliche Aufgaben und Schichten, die Schichten gehen zwischen 2-3 Stunden, in der Regel hat man zwei davon pro Tag. Es gibt aber auch halbe und freie Tage. Strandschichten können aber auch mal länger werden. Aber das seh ich dann schon alles. Die Einführungen sind eins-zu-eins Gesprächen, bei dem eine oder einer der Teamleiter:innen sich mit mir zusammensetzt, mich fragt, wie es mir geht und mir eine Power Point Präsentation auf einem Laptop zeigt. Es gibt viele verschiedene Tätigkeiten. Vom Kochen bis zum Halten einer Präsentation in einem der umliegenden 5 Sterne Hotels ist alles dabei, alle machen alles. Mal wird mehr los sein, mal weniger, mal wird die Strandschicht länger dauern, weil man zu viele Nester umsetzen muss und mal darf man im 5-Sterne-Hotel abendessen, aber das seh ich dann schon alles. Mein erster Eindruck ist sehr positiv. Alles wirkt strukturiert und gleichzeitig (oder vielleicht gerade deswegen) sehr locker. Alle wirken beschäftigt, aber nicht gestresst. Das einzige was jetzt noch fehlt, ist ein Sprung ins Meer. Das Base Camp grenzt direkt an den Strand, doch die hohen Wellen sind wenig einladend. Das rote Fähnchen neben dem Rettungsschwimmer-Turm bedeutet, dass der Wellengang zu stark ist und es nicht sicher ist, im Meer zu schwimmen. Ich stelle mich barfuß ans Ufer und lasse die schäumenden Wellen meine Knöchel umspielen. Ich habe grundsätzlich großen Respekt vor tiefen Gewässern, aber einmal kurz ins Mittelmeer? Kann nicht schaden. Ich taste mich vor, bis ich zum Bauchnabel im Wasser stehe. Eine hohe Welle klatscht mir ihr salziges Wasser ins Gesicht und ich spüre die Strömung, die sie nach sich zieht. Ja, reicht für heute, denke ich und seh zu, dass ich Land gewinne.
︎︎︎
Meine zweite Nacht ist wirklich kaum besser als die erste und ich beschließe, dass sich an meinem Schlafkomfort dringend etwas ändern muss. Daher bin ich geradezu erleichtert, als um 5 Uhr morgens mein Wecker klingelt für meine allererste Schicht am Strand. Der 12 Kilometer lange Strand ist in verschiedene Abschnitte unterteilt, die morgens jeweils von einem Team aus Volontären erkundet werden (ich will irgendwie nicht “patrouilliert” schreiben, weil das so militärisch klingt, wohingegen ich finde, dass “erkunden” für das, was wir tun ein bisschen zu kindisch klingt, naja). Zwanzig Minuten nach Weckerklingeln sitze ich also mit meiner Kollegin im Auto und fahre zu unserem Strandabschnitt. Dort sitzen wir ein paar Minuten, bis die Sonne aufgeht. Ein unfassbar schöner Moment. Hat sich ja jetzt schon gelohnt.
Auf unserer Strand-Patrouille suchen wir zwei Dinge: Nester und Gefahren. Ich bekomme das Notizbuch zum Aufschreiben der Gefahren in die Hand gedrückt, meine Partnerin notiert alles zu den Nestern. Die Brutzeit der Schildkröten beginnt schon im Mai und hält bis August an, aber das bedeutet, dass die meisten Nester bereits gemacht sind und auch schon von Tierschützer:innen gefunden und markiert wurden. In dem Moment, in dem ein:e Tierschützer:in ein Nest markiert, steht dieses unter Naturschutz und es ist illegal, dieses zu (zer)stören. Im August ist Schlüpfzeit, das heißt, unsere Aufgabe besteht darin, die bereits markierten Nester zu überprüfen und nach zu sehen, ob wir Spuren von Babyschildkröten sehen, die geschlüpft sind. Babyschildkrötenspuren sehen ein bisschen aus wie ein ungleicher Reißverschluss oder klitze kleine Trecker-Spuren im Sand. Die Bewegung, die Schildkröten im Sand machen, ist dieselbe, wie die, wenn sie sich im Wasser fortbewegen. Gleich beim ersten Nest, welches wir überprüfen, handelt es sich um einen First Hatch (ein Erst-Schlüpfling!). Das Datum des Erst-Schlüpflings wird mit Edding auf einer Tafel an der Nest-Markierung notiert. Steht keines dran und man sieht Spuren, die vom Nest ausgehen, hat man gerade einen Erst-Schlüpfling entdeckt. Die Spuren verlaufen vorbildlich vom Nest geradewegs ins Meer. In diesem Fall besteht unsere Aufgabe hauptsächlich darin, den Geburtstag auf die Tafel zu schreiben und dies im Buch zu notieren. Bei einem anderen Nest, denke ich zuerst, dass es sich um eine große Gruppe von Schlüpflingen handeln muss, weil so viele Spuren im Sand zu sehen sind. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass es eine einzige war, die kreuz und quer über den Strand lief. Wir verfolgten die Spur, die glücklicherweise ebenfalls im Meer endete. Insgesamt verläuft diese erste Schicht ziemlich ruhig. Meine Partnerin ist ebenfalls aus Deutschland und wir können uns mal ein bisschen auf deutsch unterhalten, was für zwischendurch ganz angenehm ist. Im Gegensatz zu mir, ist sie nicht das erste Mal dabei. Viele, mit denen ich mich bisher unterhalten habe, kommen immer wieder. Am Strand wird es mit steigender Sonne zwar immer wärmer, aber bis zum Schichtende nach zwei Stunden, bleibt die Temperatur herrlich mild und es weht ein leichter Wind. Beim Treffpunkt angekommen, erhalten wir allerdings eine Nachricht: ein anderes Team braucht Unterstützung. Sie haben so viele Schlüpflinge und sind noch ein gutes Stück vom Ende ihres Abschnitts entfernt. Wir fahren zurück an unseren Ausgangspunkt und laufen den Strand, diesmal in die andere Richtung, ab, um ihnen entgegenzukommen. Kurz darauf treffen wir das andere Team und eine Babyschildkröte, die ein bisschen Hilfe braucht.
Babyschildkrötenspuren kreuz und quer